Care-Arbeit: Keine Zeit für Sorge?

Wer schmeißt eigentlich den Haushalt, wenn alle erwachsenen Mitglieder in einer Familie acht Stunden am Tag arbeiten? Nach Hause kommen, auf dem Weg Kinder einsammeln und noch schnell in den Supermarkt springen bevor gekocht und aufgeräumt wird - Wo bleibt da noch Zeit für Freizeit, Beziehungen oder politische Arbeit? Welche Menschen diese Zeit trotzdem haben, welche nicht und wie es auch anders geht, kannst du hier erfahren.

Wer übernimmt die Care-Arbeit?

Wie Haushalts- und Sorgearbeit gestaltet wird, hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Vor den 50er Jahren war es im globalen Norden üblich, dass Frauen Zuhause bleiben und sich um Haushalt, Kinder und ältere Pflegebedürftige kümmern. Während die Erwerbsquote von Frauen und queeren Menschen vor allem seit den 70er Jahren stark gestiegen ist, hat sich die Verteilung der Care-Arbeit zwischen den Geschlechtern nicht im gleichen Maße verändert. Noch immer leisten Frauen und queere
Menschen vier mal so viel Care-Arbeit wie Männer.

Und sind wir mal ehrlich: ein 40-Stunden-Job ist kaum vereinbar mit der täglich anfallenden Care-Arbeit: Wäsche waschen, putzen, kochen, die Geschenke für den nächsten Geburtstag besorgen, Arzttermine der Familie auf dem Schirm haben etc. - ganz zu schweigen von der Mitversorgung von Kindern oder kranken Menschen.

Was ist Care-Arbeit?

Care-Arbeit meint die Arbeit des sich Sorgens und sich Kümmerns. Das kann vieles mit einschließen wie Pflege, Haushaltsarbeit, Betreuungsarbeit, Ehrenamt, da sein für Freund*innen, Familie etc. Es ist Arbeit, welche historisch meistens von Frauen übernommen wurde und immernoch wird. Auf deutsch wird alternativ auch der Begriff der Sorgearbeit genutzt.

Mehr zum Begriff der Care-Arbeit

Migrantische Care-Arbeit im globalen Norden

Care-Arbeit erhält weniger gesellschaftliche und finanzielle Wertschätzung als Arbeit in einem Büro oder einer Fabrik. Gerade bürgerliche Menschen im globalen Norden, die einer besser bezahlten Arbeit nachgehen, verrichten vieles an Care-Arbeit nicht mehr selbst, sondern geben sie an Arbeitskräfte aus dem globalen Süden weiter. Auch wenn Care-Arbeit im globalen Norden mit schlechten Arbeitsbedingungen und Diskriminierung einhergeht, wird sie häufig trotzdem besser bezahlt als andere Arbeit in den Herkunftsländern. 

Wie kann eigentlich eine Lebensrealität aussehen von jemandem, der aus finanziellen Gründen sein Zuhause verlassen hat, um in Deutschland Care-Arbeit zu leisten? Diese Bildergeschichte soll es leichter machen, dir das vorzustellen. Die Geschichte, die hier erzählt wird, ist fiktiv, doch orientiert sich an realen Verhältnissen, die im Artikel „Das globalisierte Dienstmädchen“ aus dem Jahr 2004 geschildert werden.

Bildergeschichte Unsichtbare Arbeit

Unsichtbare Arbeit

Kämpfe migrantischer Sorgearbeiter*innen

Überall wo Menschen es sich leisten können, lagern sie Haushalts- und Pflegearbeit an finanziell schlechter gestellte Menschen aus. Diese müssen meist schlechte Arbeits- und Lebensbedingungen auf sich nehmen, um diese Arbeit ausführen zu können. Die Sorgearbeit in den Familien der Carearbeiter*innen muss wieder von anderen Personen übernommen werden. Diese Kette an Sorgearbeit nennt man eine globale "Care Chain". Die Probleme unterscheiden sich in unterschiedlichen Ländern, je nachdem wie die Haushaltsarbeit dort organisiert ist und was für rechtliche Rahmenbedingungen sich daraus ergeben. Hier stellen wir dir unterschiedliche Protestbewegungen von migrantischen Carearbeiter*innen in unterschiedlichen Ländern und mit unterschiedlichen Problemen vor.

Deutschland

Illustration einer Demonstration von migrantischen Sorgearbeiter*innen in Deutschland
Die Care-Arbeit, die viele Menschen mit höherem Einkommen auslagern, um Zeit für Erwerbsarbeit zu haben, wird auch in Deutschland oft von illegalisierten Migrant*innen übernommen. Menschen ohne Aufenthaltsstatus leben unter prekären, gesundheitsbelastenden Bedingungen. Sie leisten harte körperliche Arbeit, haben Angst vor Abschiebung und keinen Zugang zu vielen grundlegenden sozialen Rechten. Mit der Kampagne #Legalisierungjetzt fordern Migrant*innen die Legalisierung aller Personen ohne Aufenthaltsgenehmigung und organisieren Proteste, Pressekonferenzen und tanzen für die Sichtbarkeit von Menschen ohne Papiere. Initiiert wurde die Kampagne unter anderem von respect Berlin, einem Verein, der Migrant*innen in der bezahlten Hausarbeit organisiert und ihre Rechte verteidigt.

Niederlande

Illustration von migrantischen Care-Arbeiter*innen in den Niederlanden.
Mit dem Übereinkommen 189 „Menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte“ der internationalen Arbeitsorganisation (ILO) wurden 2011 grundlegende Rechte und internationale Arbeitsstandards für Hausangestellte definiert. Die niederländische Regierung stimmte bei der internationalen Arbeitskonferenz für die Konvention, hat sie aber bislang nicht umgesetzt. Deswegen protestierten Hausangestellte im Jahr 2013 in Amsterdam erstmals zusammen mit ihren Arbeitgeber*innen. Auf ihren Schildern standen Sprüche wie: „Ich mag Steuern zahlen“, „Wir kümmern uns um eure Kinder“, „Ich habe 27 Haustürschlüssel“ und „ratifiziert die ILO Konvention 189 jetzt!“. Auch am internationalen Tag der Arbeit 2023 gingen die migrantischen Haushaltsarbeiter*innen mit ihrer Gewerkschaft wieder auf die Straße. Zwölf Jahre nach dem Übereinkommen 189 gewährt die niederländische Regierung den Hausangestellten immer noch nicht dieselben Rechte wie anderen Arbeitnehmer*innen. Zusätzlich zur Anerkennung des Übereinkommens 189, fordern die Protestierenden Arbeits- und Aufenthaltserlaubnisse.

Spanien

Darstellung von Kämpfen von Hausangestellten
Etwa 70 Prozent der Hausangestellten sind Migrant*innen, überwiegend aus Lateinamerika. 70 – 80 Prozent der zugewanderten Hausangestellten sind in informellen Arbeitsverhältnissen tätig, das heißt ohne Arbeits- und Rechtsschutz. Sie haben keinen oder nur kurzzeitige Aufenthaltstitel. Dafür müssten sie drei Jahre lang in Spanien beschäftigt sein. Viele Arbeitgeber*innen entscheiden sich jedoch, sie vor Verstreichen der Frist zu entlassen bzw. weigern sich, ihnen bei den rechtlichen Schritten zu helfen. Häufig leben sie fünf bis sieben Jahre ohne eine langfristige Aufenthaltsgenehmigung. Territorio Doméstico ist eine Organisation, die für die Rechte von migrantischen Arbeitskräften, besonders in Care-Berufen, und für eine angemessene Anerkennung der Pflegearbeit in der Gesellschaft kämpft. Sie hat einen starken feministischen und antikolonialen Schwerpunkt.  

Volksrepublik China (Sonderverwaltungszone Hongkong)

Grafische Darstellung der Kämpfe philippinischer Hausangestellter in Hong Kong
Am Sonntag nach dem 8. März der letzten Jahre demonstrieren hunderte migrantische Haushangestellte in HongKong. Am 8. März selbst konnten sie meistens nicht demonstrieren, weil sie arbeiten mussten und Angst hatten, ihren Job zu verlieren. Organisiert wurde der Protest u.a. von der Gewerkschaftsgruppe „United Filipinas of Hong Kong“.   Die Haushaltshilfen in HongKong haben nur einen Tag in der Woche frei. Oft nutzen sie diesen freien Tag, um sich auf der Straße zu treffen und auf sich aufmerksam zu machen. Dies hat Tradition seit den 80er Jahren. In HongKong müssen die Angestellten laut dem “live in“ Gesetz bei ihren Arbeitgeber*innen wohnen. Sie leben dort oft unter schlechten Bedingungen, mit zu wenig Platz und Essen und werden konstant überwacht. Die Proteste sind eine wichtige Möglichkeit für die Arbeiter*innen, sich untereinander und ihre Rechte kennenzulernen, sich zu vernetzen und somit besser gegen Missbrauch wehren zu können. Die Proteste sind ein sicherer Zufluchtsort, weg vom Arbeitsplatz.

Alternatives Sorgen - Wie lässt sich Care Arbeit sinnvoll aufteilen?

Eine Gesellschaft, in der alle Erwachsenen Vollzeit arbeiten und so keine oder nicht genug Zeit für Sorgearbeit bleibt, scheint nicht die Lösung zu sein. Denn so werden entstehende Sorgelücken nur in andere Teile der Welt verschoben und Sorgetätigkeiten bleiben prekäre Arbeiten.

Doch wie lässt sich dieses Problem lösen?
Eine Veränderung kann nur stattfinden, wenn Arbeit in der Gesellschaft allgemein anders verteilt wird. In kapitalistischen Gesellschaften ist die Ausbeutung von Menschen in ihrer Lohnarbeit und in der Care-Arbeit voneinander abhängig. Der Kampf muss sich daher gegen die kapitalistische Logik selbst richten und kann nur erfolgreich sein, wenn Arbeiter*innen international miteinander solidarisch sind.

Wie könnte eine gerechtere Gesellschaft aussehen?
Die marxistische Soziologin und Feministin Frigga Haug hat sich dafür ein Konzept überlegt: Es gibt vier Lebensbereiche, die alle gleichwertig sind – Erwerbstätigkeit, Sorgetätigkeit (z.B. Haushalt, Pflege, Selfcare), Betätigung in der eigenen Entwicklung (Sport, Kunst, Lernen) und Politische Tätigkeit.

Wie sieht ein guter Tag aus?

Frigga Haug geht von 16 Stunden „Arbeitszeit“ aus (bei acht Stunden Schlaf), die alle Menschen für diese Tätigkeiten pro Tag zur Verfügung haben, um sich gesellschaftlich einzubringen. Dabei sind alle vier genannten Lebensbereiche gesellschaftlich und für jede*n einzelne*n wichtig. Jede*r hätte dann jeweils viel Stunden am Tag Zeit für die vier Bereiche. Das sollte aber nicht absolut gelten, sondern als Richtwert dienen. Zudem kann die Zeit, die jede*r für diese Bereiche aufbringt, nach Lebensphase variieren. Zum Beispiel verbringen im jungen Erwachsenenalter Menschen mehr Zeit mit der eigenen Entwicklung und die Zeit für Sorgetätigkeiten nimmt zu, wenn man Verantwortung für Kinder übernimmt.

20 Stunden Erwerbsarbeit

Daraus folgt, dass die Erwerbsarbeit auf ca. 20h pro Woche für alle gekürzt wird und so auch für alle zugänglicher wird. So können cis-Männer auch stärker in unbezahlte Sorgetätigkeiten eingebunden werden. Außerdem hätten alle Menschen mehr Zeit für kulturelle Arbeit, für die persönliche Entwicklung und Gestaltung des eigenen Lebens sowie politisches Engagement und Mitbestimmung.

Vier Lebensbereiche in einem Tag!

Ordne die passenden Icons und Aktivitäten den vier unterschiedlichen Bereichen zu. Dabei gibt es nicht unbedingt immer ein richtig und falsch - Manche Elemente passen auch in mehrere Kategorien!

4 in 1 Perspektive

Dein idealer Arbeitstag

Nachdem du die Aufgaben zugeordnet hast - Was denkst du zu folgenden Fragen?

  • Passen alle Aktivitäten nur in eine Kategorie? Wäre diese Zeitaufteilung was für dich?
  • Was sieht dein idealer 16h Tag aus?
  • Wenn alle Menschen nach eurem idealen 16h Tag leben, würden dann alle wichtigen Aufgaben erledigt werden?
  • Wenn du wie in Frigga Haugs 4 in 1 Utopie lebst, würdest du dann mehr oder weniger Dinge als jetzt tun, die du nicht gerne machst?

Quellen: Keine Zeit für Sorge?

Nutzen und Teilen!

Dieser Beitrag ist Teil der Reihe ExitKrise! - Grundlagen zu Krisen und Wegen zu Globaler Gerechtigkeit, das in Kooperation mit Konzeptwerk Neue Ökonomie (externer Link, öffnet neues Fenster) erstellt wurde. Dieser Beitrag wird unter den Bedingungen der Creative Commons Lizenz CC BY 4.0 (externer Link, öffnet neues Fenster)veröffentlicht! Teile, nutze oder adaptiere es für deine Bildungsarbeit. Vergiss nicht es weiter unter den gleichen Bedingungen zu veröffentlichen und dabei LINX und die Autor*innen zu erwähnen!

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