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Juni
2023

Krieg & Gewalt - Zahlen zu Fluchtursachen und wo Geflüchtete Schutz finden

Ob Ukraine, Syrien oder Afghanistan – wo Gewalt ausbricht, fliehen Menschen. Wir blicken auf die Welt und schauen, wo Menschen sich für die Flucht entscheiden, wohin sie migrieren und was in den Ankunftsländern passiert.

Was haben Betroffene des russischen Angriffskriegs aus die Ukraine getan?

Der kriegerische Überfall Russlands auf die Ukraine hat im Jahr 2022 bereits die zweite große Fluchtbewegung im Europa des 21. Jahrhunderts ausgelöst. Insgesamt sollen seit dem 24. Februar, als der Krieg begann, bis zum Herbst 2022 rund 14,5 Millionen Menschen die Ukraine zumindest zeitweilig verlassen haben. Das entspricht etwas mehr als einem Viertel der gesamten Bevölkerung des Landes. Viele sind inzwischen wieder in die Ukraine zurückkehrt, aber um die 7,5 Millionen waren im Herbst 2022 weiterhin in einem anderen europäischen Land als Flüchtlinge registriert. Ein Großteil der Ukrainer*innen ist in benachbarte Länder geflohen. Die meisten, rund 2,8 Millionen, wurden in Russland und Belarus registriert, die zweithöchste Anzahl mit circa 1,4 Millionen in Polen. Deutschland steht mit einer Million registrierten Flüchtlingen – davon zwei Drittel Frauen und ein Drittel Kinder und Jugendliche – an dritter Stelle. Laut der International Organisation of Migration (IOM) haben weitere knapp 7 Millionen Menschen innerhalb der Ukraine ihren Wohnort verlassen, sind also Binnenflüchtlinge. Damit hat der russische Angriffskrieg beinahe 50 Prozent der ukrainischen Bevölkerung zumindest zeitweilig zu Flüchtlingen gemacht.

 

 

 

 

Der plötzliche Kriegsausbruch stellte die Aufnahmeländer vor große Herausforderungen. Sie ähneln jenen im Sommer 2015, als mehr als 1,3 Millionen Menschen vorrangig aus Syrien, Afghanistan und dem Irak in Europa Schutz vor den kriegerischen Auseinandersetzungen in ihren Ländern suchten. Damals registrierten sich innerhalb eines Jahres um die 890.000 Ankömmlinge beim Bundesamt für Flucht und Migration in Deutschland BAMF.

Weltkarte zu Konflikten mit Waffengewalt und Aufschlüsselung, von wo Menschen geflohen sind. Hauptsächlich Sahelzone etwas nördlich vom Äquator in Afrika und in Asien wie Afghanistan und Syrien, aber auch in Südamerika.
Gewaltsame Konflikte zählen zu den wichtigsten Gründen, aus denen Menschen ihre Heimat verlassen und innerhalb oder außerhalb ihres Herkunftslandes Schutz suchen. Dazu gehören sowohl Auseinandersetzungen zwischen staatlichen Armeen als auch solche, an denen nicht staatliche Kämpfer*innen beteiligt sind. Die Anzahl der Konflikte zwischen Staaten war nach dem Jahr 1989 zurückgegangen. Jedoch ist Zahl sogenannter Bürgerkriegen deutlich gestiegen, wie auch die Dauer und Komplexität solcher insbesondere in den letzten zehn Jahren deutlich zugenommen hat. Das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK) zählte für 2021 insgesamt 20 auch grenzüberschreitende und 20 begrenzte Kriege. Beide Konflikttypen zeichnen sich durch massive Waffengewalt aus, die enormes menschliches Leid nach sich ziehen. Ein Großteil dieser Konflikte spielt sich in der Sahel-Region in Afrika sowie im Nahen Osten ab. Die Konflikte in diesen Regionen, etwa in Syrien, Jemen oder Mali, zeigen die Komplexität heutiger Auseinandersetzungen. Sie sind gekennzeichnet von diffusen und oft konträren Interessen nicht staatlicher Gruppen, nationaler Regierungen und internationaler Akteure. Das erschwert die effektive Lösung des Konflikts und das Beenden humanitärer Notlagen.

Warum Menschen fliehen

Skizze einer rennenden Person
Wichtige Fluchtursachen entstehen auch durch zeitlich begrenzte gewaltsame Krisen, zum Beispiel durch Terrorismus oder im Rahmen von umstrittenen Wahlen, sowie organisierter Kriminalität, etwa in Mexiko. Ihre humanitären Folgen stehen denen bewaffneter Konflikte im völkerrechtlichen Sinne oft in nichts nach. Die Auswirkungen sind gravierend. Über 145.000 Menschen starben weltweit im Jahr 2021 in Kriegen, bewaffneten Konflikten und durch andere Formen politischer Gewalt. Die meisten Todesopfer forderten 2021 die Konflikte in Afghanistan (42.200), im Jemen (18.300) und Myanmar (10.400). Und besonders dramatisch ist die Tatsache, dass mehr als die Hälfte der Todesopfer durch explosive Waffen Zivilist*innen waren.

Auch die Zerstörung von Infrastruktur wie Landwirtschaftsflächen, Häusern, Krankenhäusern, Straßen und Schulen hat verheerende Auswirkungen auf die Zivilgesellschaft. Rund 77 Millionen Menschen litten allein aufgrund von bewaffneten Konflikten an Hunger. Die gesundheitliche Versorgung beispielsweise in Syrien und im Jemen wurde durch die Bombardierung zahlreicher Krankenhäuser weiter geschwächt. Oftmals verschlimmert die Kombination verschiedener Krisen die humanitäre Lage weiter. Extremwetterereignisse und die Corona-Pandemie trafen besonders vulnerable Gruppen in Konfliktregionen massiv. 235 Millionen Menschen waren 2021 auf humanitäre Hilfe angewiesen – ein Rekord.

Die linke Grafik zeigt die Anzahl der weltweit registrierten Vertriebenen im In- und Ausland, dort ist die Zahl von 89 Millionen auf 101 Millionen gestiegen. Grund dafür ist unter anderem der Krieg in der Ukraine. Die rechte Grafik zeigt die Anzahl von aufgenommenen Geflüchteten in verschiedenen Ländern. Vor allem Nachbarländer nehmen verhältnismäßig viele Geflüchtete auf (z.B. im Libanon kommt 1 vertriebene Person auf 8 Libanes*innen) im Vergleich zu Deutschland (1 vertriebene Person auf 55 Deutsche).
Für viele Menschen stellt Flucht den einzigen Ausweg aus großen Not dar. Ein Großteil von ihnen sucht dabei Schutz innerhalb des eigenen Landes. So flohen 2021 laut dem Internal Displacement Monitoring Center weltweit mehr als 14 Millionen Menschen vor Gewalt und Konflikten innerhalb des eigenen Landes in eine andere Region, die meisten davon in Äthiopien, der Demokratischen Republik Kongo und Afghanistan. Damit stieg die Gesamtzahl dieser sogenannten Binnenvertriebenen durch Konflikte auf den Höchstwert von weltweit 53 Millionen Menschen. Dazu kommen den Vereinten Nationen zufolge 27 Millionen internationale Flüchtlinge, die vor Gewalt, Menschenrechtsverletzungen, Armut oder Verfolgung flohen. Ein Großteil stammt aus Kolumbien (8 Millionen), Syrien (6,8 Millionen), Venezuela (4,6 Millionen) und Afghanistan (2,7 Millionen) und floh in Nachbarländer wie Ecuador, Venezuela, Pakistan oder die Türkei. Industrieländer nahmen nur 17 Prozent aller Geflüchteten auf. Fast 16 Millionen Menschen lebten im Jahr 2019 mehr als fünf aufeinander folgende Jahre im Exil.
Skizze einer Person mit gesenktem Kopf auf einer Bank sitzend. Rechts neben ihr steht ein Werkzeugkoffer mit Arbeitsmitteln.
Auf ihrer Flucht durchqueren viele Menschen Regionen, die ebenfalls von Konflikten, schwacher Staatlichkeit und korruptionsanfälligen Sicherheitsbehörden gekennzeichnet sind – wie z.B. die Sahara oder Mittelamerika. Sie kommen in Ländern an, wie die USA, wo sie als Migrant*innen teils extremen Menschenrechtsverletzungen und physischer Gewalt ausgesetzt sind. Sie können sie etwa Opfer von Zwangsarbeit, illegalen Inhaftierungen von Minderjährigen, Folter oder willkürlichen Tötungen werden. Milizen, Schmuggler und Schleuser können in den Transitländern weitgehend ungestraft agieren. Und besonders Mädchen und Frauen sind einem hohen Risiko von sexualisierter Gewalt ausgesetzt.

Jetzt du: Bringe die Länder in die richtige Reihenfolge!

Wo sind die meisten Menschen auf der Flucht?

Skizze einer Polizeiperson vor einer Schranke und einem Schild, dass keinen Durchgang signalisiert.
Um die Lage von Menschen auf der Flucht vor gewaltsamen Konflikten zu verbessern, gibt es verschiedene Ansatzpunkte. Viele davon sind im Globalen Pakt für Flüchtlinge der UN beschrieben. In diesem hatten sich 2018 insgesamt 181 Staaten unter anderem dazu bekannt, dass der Schutz von Geflüchteten durch entschiedenere Anstrengungen zur Bekämpfung der tieferen Ursachen von Konflikten begleitet werden muss. Vier Jahre nach der Verabschiedung des Paktes ist die Bilanz jedoch gemischt. An vielen Grenzen in Europa, Afrika, Asien und im Pazifik werden Geflüchtete weiterhin zurückgewiesen. Noch immer sind viele „Refugee Response Plans“ unterfinanziert und die Umsiedlung in Drittländer ist – auch bedingt durch die Corona-Pandemie – zurückgegangen und nicht gestiegen. Noch immer leben rund zwei Drittel der Geflüchteten in Armut und die Hälfte der geflüchteten Kinder hat keinen Zugang zu Bildung.
Skizze von zwei sich schüttelnden Händen
Aber es gibt auch positive Entwicklungen: ein deutlich höheres Engagement von Entwicklungsakteuren und eine verbesserte Zusammenarbeit an der Schnittstelle von Entwicklungszusammenarbeit, humanitärer Hilfe und Friedensarbeit. Zudem haben sehr viele Aufnahmeländer zugesagt, im Sinne des Paktes umzusteuern und die Teilhabe von Geflüchteten zu verbessern und ihnen Zugang zum Arbeitsmarkt und zu sozialen Dienstleistungen zu gewähren.

Was lief bei ukrainischen Geflüchteten anders?

Der plötzliche Kriegsausbruch stellte die Aufnahmeländer vor große Herausforderungen. Sie ähneln jenen im Sommer 2015, als mehr als 1,3 Millionen Menschen vorrangig aus Syrien, Afghanistan und dem Irak in Europa Schutz vor den kriegerischen Auseinandersetzungen in ihren Ländern suchten. Damals registrierten sich innerhalb eines Jahres um die 890.000 Ankömmlinge beim Bundesamt für Flucht und Migration in Deutschland (BAMF). Trotz der enormen Solidarität nutzen und nutzten antidemokratische Akteur*innen das Flüchtlingsthema, um Hetze gegen Minderheiten und gesellschaftliche Institutionen zu betreiben. Die Bereitschaft, Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine zu unterstützen, ist insbesondere in Polen und Deutschland hoch, aber auch in anderen Ländern Europas sehr ausgeprägt. Auch die Regierungen reagierten mit weitreichenden Schritten, wie der sofortigen Erteilung einer Arbeitserlaubnis für Ukrainer*innen in Deutschland.

Drei Personen mit Stopp-Schildern als Skizze symbolisieren Protest
Dennoch haben solche Maßnahmen für eine spezielle Gruppe Geflüchteter zu Recht für kontroverse Diskussionen gesorgt. Im Winter 2021/22 hatten Tausende Menschen vor allem aus Syrien, Afghanistan und Irak versucht, die polnisch-belarussische Grenze zu überqueren. Die polnische Regierung versuchte mit allen Mitteln, diese Einreisen zu verhindern, was zu dramatischen und menschenunwürdigen Situationen führte. Die Empörung über die Ungleichbehandlung weißer Flüchtender aus der Ukraine und nicht weißer Flüchtender – von dort oder anderswo her – ist berechtigt. Gleichzeitig sind Erklärungen, dass dies allein auf rassistischen Motiven basiert, unzureichend.

Zentrale Aspekte bei der Aufnahme ukrainischer Geflüchteter

Folgende Aspekte haben bei der Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge eine zentrale Rolle gespielt:

  1. Dass Nachbarstaaten bei Kriegen die Grenzen für Flüchtlinge öffnen, ist eine gute und sinnvolle Regel. Es gibt international in der jüngeren Vergangenheit kaum Ausnahmen davon. Auf diesen Solidarisierungseffekt können Flüchtlinge, die nicht aus Europa fliehen mussten, nicht hoffen.
  2. Zweitens hatte die im Rahmen des EU-Assoziierungsabkommens mit der Ukraine geregelte Visa-Freiheit zur Folge, dass Ukrainer*innen nach Kriegsausbruch legal in die EU einreisen konnten. Dies trifft in der Regel für Flüchtlinge, die über das Mittelmeer kommen, nicht zu. Bei dieser Betrachtung werden andere Rechte, zum Beispiel das Menschenrecht auf Asyl, nicht berücksichtigt.
  3. Drittens hat die Angst vor einer weiter reichenden russischen Aggression auch die westeuropäischen Gesellschaften ergriffen und entsprechend zu einem kurzfristig starken Zusammenhalt zwischen den west- und mitteleuropäischen Ländern und der Ukraine geführt.

Moralisch ist die Ungleichbehandlung nicht zu rechtfertigen. Rassismus und Eurozentrismus führen auch zur Etablierung eines ungleichen Rechtssystems, das Millionen Menschen aus der Ukraine unbegrenzte Aufnahmegarantie mit allen Rechten gewähren, während andere Gruppen von Flüchtlingen – etwa über Belarus oder das Mittelmeer Ankommende – mit härtesten Abwehrmechanismen begegnet wird. Dadurch verletzt Europa massiv die Menschenrechte.

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Online-Beitrag erstellt von Florian Leiner. Dieser Beitrag basiert auf dem Kapitel "Gewalt: Flucht vor dem Krieg"
von Katrin Radtke und Sören Schneider aus dem Atlas der Migration. Der Atlas der Migration steht unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung –4.0 international“ (CC BY 4.0 (externer Link, öffnet neues Fenster)). Du kannst die einzelnen Infografiken dieses Atlas für eigene Zwecke nutzen, wenn der Urhebernachweis „Bartz/Stockmar, CC BY 4.0“ in der Nähe der Grafik steht, bei Bearbeitungen „Bartz/Stockmar (M), CC BY 4.0“.

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