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Juni
2023
Was ist los in...?

Was ist los in Kolumbien?

Der Konflikt in Kolumbien hat sich als der längste und einer der komplexesten bewaffneten Konflikte der Welt etabliert. Seit der Kolonialzeit ist die Geschichte des Landes von Gewalt geprägt, einer rassistischen Gewalt, die zu einer extremen Ungleichheit bei der Verteilung des Reichtums führte. Diese Ungleichheit in Kolumbien besteht bis heute fort und ist ein zentraler Punkt in den zahlreichen gewaltvollen Auseinandersetzungen.

Allein zwischen 1985 und 2018 wurden über 450.000 Menschen im Kontext des Konflikts getötet. 90% von ihnen waren Zivilist*innen. Insgesamt wurden etwa 20% der Bevölkerung direkte Opfer des Konflikts. Über eine Millionen Menschen sind zwischen 1982 und 2020 aus Kolumbien geflohen. Fast 8 Millionen Menschen wurden in diesem Zeitraum innerhalb Kolumbiens vertrieben. Insgesamt wurden 121.768 Menschen Opfer von gewaltsamen Entführungen. //Illustration: Catatumbo, Wahrheitskomission Kolumbiens, CC-BY-NC-SA-4.0

Welche Gründe hat der Konflikt?

Kolumbien schneidet aktuell in Lateinamerika bei der ungleichen Landverteilung am schlechtesten ab, gefolgt von Peru und Chile. Nur 1 % der Landbesitzer*innen bewirtschaften mehr als 80 % der Agrarflächen im ganzen Land, während sich die übrigen 99 % nur ca. ein Fünftel des Bodens teilen. Die extreme Konzentration von Grund und Boden in den Händen einiger weniger und die damit verbundenen Auseinandersetzungen über den Zugang zu Land und Besitz sind zentrale Faktoren, die zu dem bis heute andauernden bewaffneten Konflikt führen.

Seit der Kolonialzeit wurde die Konzentration riesiger Landflächen in den Händen einiger weniger zur Normalität. Diese Besitzverhältnisse wurden durch Gewalt aufrechterhalten und hergestellt und die gewaltvolle Vertreibung von Kleinbauern und -bäuerinnen war in Kolumbien in den letzten Jahrhunderten an der Tagesordnung. So wurde die große Mehrheit der ländlichen Bevölkerung, darunter historisch ausgegrenzte indigene und Schwarze Gemeinschaften, enteignet, was zu einer Verarmung breiter Bevölkerungsgruppen führte. Diese Armut festigte sich von Generation zu Generation. Alle Versuche, diese Verhältnisse zu verändern wurden von Seiten der Machthaber*innen mit Gewalt beantwortet und brutal niedergeschlagen.

Ein Teil des Landes wird nur im Hinblick auf seine natürlichen Ressourcen als relevant betrachtet. Dies führte zu einem Entwicklungsmodell, welches auf Extraktivismus basiert, und zu einer gewaltvollen Durchsetzung von Politiken, die dieses Modell begünstigen. Soziale Anführer*innen und Gemeinschaften, die sich gegen dieses Entwicklungsmodell wehrten und ihre Territorien verteidigten, wurden Opfer zahlreicher Menschenrechtsverletzungen.

Ein Land von Binnenvertriebenen

Ende 2021 war Kolumbien nach Syrien und der Demokratischen Republik Kongo auf Platz 3 der Länder mit den meisten intern Vertriebenen weltweit. Es gibt in Kolumbien um die 8.000.000 innerhalb des Landes vertriebene Personen.

Wer trägt die Verantwortung?

Staatliche und illegale bewaffnete Akteur*innen sind verantwortlich, aber auch Großgrundbesitzer*innen, Viehzüchter*innen und große Agrarunternehmer*innen, die sich durch Drohungen, Zwangskäufe und Massaker Millionen von Hektar Land angeeignet haben.

Die Mehrheit der Vertriebenen kam in die großen städtischen Zentren des Landes, weitgehend ohne die Unterstützung staatlicher Institutionen. So entstanden in den städtischen Randbezirken nach und nach Slum-artige Viertel mit extrem schlechten Lebensbedingungen, deren Einwohner*innen keinen Zugang zu Grundrechten wie Ernährung, Gesundheit oder Bildung haben. Junge Menschen, die unter diesen Umständen aufwachsen und deren Leben von Perspektivlosigkeit geprägt ist, entscheiden sich oft für ein Leben in der Kriminalität.

Die Gründe für das Fortbestehen des Konflikts

Die Gründe für das Fortbestehen des Konflikts sind der fehlende politische Wille zur Umsetzung von Maßnahmen für grundlegende Veränderungen, die zu einer gerechteren Verteilung und Zugang zu Ressourcen und Grundrechten führen. Es gibt eine mächtige wirtschaftliche und politische Elite, die Widerstand gegen eine demokratische Öffnung leistet. Sie bekämpft die gesellschaftspolitischen Prozesse, die ihre Privilegien herausfordern, mit allen (legalen und illegalen) Mitteln. Linke Sektoren, Aktivist*innen, Gewerkschaftler*innen, Menschenrechtler*innen sowie Student*innen, Indigene und Afrokolumbianer*innen, die sich politisch organisieren, um ihre Rechte auf Teilhabe einzufordern, werden seit Jahrzehnten systematisch verfolgt, kriminalisiert und ermordet.

Dazu kam in den 1970er Jahren der Drogenhandel, in den alle Konfliktakteur*innen involviert gewesen sind. Das Geschäft wurde Teil der Kriegsökonomie. Nach und nach konsolidierte sich eine Mafiakultur im Land, die grausame Praktiken einführte. Obwohl der Drogenhandel keine Ursache des Konflikts ist, ist er ein zentraler Faktor in seiner Eskalation und Erweiterung.

Die Akteure des Konflikts

Bewaffnete Auseinandersetzung auf der Straße zwischen verschiedenen Akteuren.
Im kolumbianischen Konflikt spielen zahlreiche Akteur*innen eine Rolle. Es ist teils schwierig, klare Abgrenzungen zwischen den verschiedenen Akteur*innen zu ziehen. Oft sind die Grenzen zwischen ihnen verschwommen und in vielen Fällen wechseln Mitglieder einer Gruppe in die andere. Sowohl die legalen als auch die illegalen bewaffneten Akteur*innen sind verantwortlich für gravierende Menschenrechtsverletzungen. //Foto: Agencia Prensa Rural. CC-BY-NC-ND-2.0

Die Guerrillas

Die Gründung der Guerillas steht in Verbindung zur sozialen, ökonomischen und politischen Ausgrenzung und den fehlenden Räumen der politischen Teilhabe. Es gab in Kolumbien zahlreiche Guerillas im Laufe des 20. Jahrhunderts. Die bekanntesten unter ihnen sind die FARC-EP, die ELN, die EPL, und die M-19. Es handelt sich bei allen um linke Guerillas, die mehrheitlich in den 1960er und 1970er Jahren gegründet wurden.

Verschiedene Gruppen, ein Kampf

Die Guerrillas teilten ideologisch den antikapitalistischen Kampf und gründeten in den 1980er Jahren das Nationale Guerrilla Koordinationskomitee Simón Bolívar. Die FARC-EP, die ELN, die EPL, die M-19, die bewaffnete Bewegung Quintín Lame und die Revolutionäre Arbeiterpartei - PTR haben fast ein Jahrzehnt lang zusammengearbeitet.

Revolutionäre bewaffnete Streitkräfte Kolumbiens - Volksarmee (FARC-EP)

 

 

Ein Mitglied der Farc sitzt auf einem Stuhl.
Die FARC-EP wurde 1964 als bäuerliche Selbstverteidigungsgruppe gegründet. Sie hatte eine marxistisch-leninistische Ideologie und ihre militärische Strategie bestand hauptsächlich im Guerillakrieg. Ihre Anfänge liegen in den liberalen Guerillas der 1950er Jahre. Die Gründer*innen der FARC waren Bauern und Bäuerinnen, die sich im Zuge der Gewalt, Repression und Vertreibung zu einer Guerilla zusammenschlossen, um für ihre Rechte zu kämpfen. Ihr Ziel war den bestehenden Reichtum umzuverteilen. Sie war im gesamten Land aktiv. Anfang der 2000er Jahre kontrollierte die FARC ungefähr 40% des nationalen Territoriums, und hatte im Jahr 2007 um die 18.000 Mitglieder. Die FARC war die älteste Guerillagruppe weltweit, bis sie 2016 einen Friedensvertrag mit der kolumbianischen Regierung unterzeichnete, ihre Waffen ablegte und den Prozess der Wiedereingliederung ins zivile Leben begann. Die ehemalige FARC gründete die Partei Farc und wurde 2021 in Comunes unbenannt.

Eine Minderheit der FARC-Mitglieder griffen jedoch im Nachhinein erneut zu den Waffen und gründeten die Guerilla-Gruppe „FARC-EP, die zweite "Marquetalia“ als Antwort zu der Nichtumsetzung des Abkommens seitens der Regierung und der systematischen Ermordung der Ex-Kämpfer*innen. Diese Gruppen sind als Dissidenten bekannt.

Ein Plakat der ELN mit der Aufschrift "ELN - ni rendicion ni entrega".
Die Kolumbianische Nationale Befreiungsarmee (ELN) wurde 1965 unter dem Einfluss der kubanischen Revolution (1959) gegründet. Ihre Ideologie speiste sich aus christlichen Elementen der Befreiungstheologie. Die ELN ist im Gegensatz zu der stark vertikal und zentralisiert strukturierten FARC sehr dezentral aufgestellt. Die ELN ist mit einem eher urbanen, studentisch und gewerkschaftlich geprägten Milieu verbunden. Das Hauptziel dieser bewaffneten Gruppe ist die Einflussnahme auf die lokalen und regionalen Mächte. Die ELN greift vor allem Infrastruktureinrichtungen der Ölindustrie und des Bergbaus an. Gegenwärtig hat die ELN um die 2.500 Mitglieder. // Foto: Julián Ortega Martínez, CC BY SA 2.0

Die M-19 (Bewegung 19. April)

Die M-19 wurde 1970 in Folge eines erklärten Präsidentschaftswahlbetrugs im selben Jahr gegründet. Sie unterschied sich von anderen subversiven Bewegungen, weil sie eine eher urbane Guerrilla war und viele ihrer Mitglieder aus der akademischen Mittelschicht kamen. Sie verstand sich als eine antioligarchische, antiimperialistische Bewegung. Nach einem Friedensabkommen im Jahr 1990 gründeten sie die politische Partei Alianza Democrática M-19. Einige namhafte Politiker, darunter der derzeitige Präsident Kolumbiens, Gustavo Petro, waren Mitglieder der M-19.

Die Nationale Volksbefreiungsarmee (EPL)

Die EPL (Nationale Volksbefreiungsarmee) wurde 1966 gegründet und hatte eine marxistisch-leninistisch-maoistische Ideologie. Die Mehrheit ihrer Mitglieder legte 1991 ihre Waffen nieder und gründete die Partei Esperanza, Paz y Libertad.

Die Paramilitärs

Die Paramilitärs sind nicht nur bewaffnete Akteure. Es handelt sich um ein militärisches, politisches und gesellschaftliches rechtsextremes Projekt, welches zum Größten Teil durch die Ermordung von linken Politiker*innen und sozialen Aktivist*innen vorangetrieben wurde. Der Paramilitarismus steht in enger Verbindung zum Drogenhandel und Drogenkartellen. Die Paramilitärs sind die gewaltvollsten Akteure im kolumbianischen Konflikt. Sie sind verantwortlich für die meisten Menschenrechtsverletzungen.

Paramilitärische Strukturen entstanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts als der bewaffnete Arm der Konservativen Partei.  Paramilitärische Gruppen expandierten in den 1980er Jahren unter dem Deckmantel der Aufstandsbekämpfung. Sie dienten als Privatarmeen von Politiker*innen und Großgrundbesitzer*innen, verteidigten den Erhalt von wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Privilegien, suchten die Ausweitung des Privateigentums und der Einnahmen anhand von Landraub und Mord. Sie setzten die Territorialkontrolle anhand der Ausrottung verfeindeter bewaffneter Gruppen und einer gewaltvollen Form von sozialer Kontrolle durch.

Ein Graffiti mit der Aufschrift "AGC en paro" - "AGC arbeitslos".
In den 1990er Jahren schlossen sich die verschiedenen paramilitärischen Gruppen zusammen und gründeten die Vereinigten Selbstverteidigungskräfte Kolumbiens (AUC). Rund 30.000 Kämpfer*innen der AUC legten zwischen 2003 und 2006 im Rahmen eines Demobilisierungsprozesses ihre Waffen nieder. Dennoch bildeten sich viele ihrer Mitglieder erneut zu post-paramilitärischen Gruppen zusammen, die sogenannten BACRIM (kriminelle Banden). Sie agieren als Drogenkartelle unter verschiedenen Namen, wie Águilas Negras, Autodefensas Gaitanistas (AGC), Clan del Golfo, Los Rastrojos oder Los Caparros. Die Demobilisierung der paramilitärischen Gruppen wird stark in Frage gestellt.

Der Staat

Der Staat spielt bei der Entwicklung und Aufrechterhaltung des bewaffneten Konflikts in Kolumbien eine maßgebliche Rolle. Historisch hat er systematisch illegitime Gewalt angewandt, um Demokratisierungsprozesse zu stoppen. Er ist verantwortlich für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen, die stets als Kollateralschaden im „Kampf gegen den Terrorismus“ dargestellt wurden.

Zwei bewaffnete Soldaten
Der kolumbianische Staat hat, durch Handlung und Unterlassung, die Entwicklung des Paramilitarismus gebilligt, und hat auch eine strukturelle Verantwortung in der Entstehung paramilitärischer Strukturen. Verschiedene Regierungen, politische Eliten und das Militär haben über die letzten Jahrzehnte mit dem Paramilitarismus kooperiert, und sie haben ihn minimiert und rechtfertigt. Im Zusammenhang mit den Erklärungen des paramilitärischen Führers Salvatore Mancuso vor der Übergangsjustiz für den Frieden wurden zahlreiche Informationen über die Ermordungen und Massaker sowie über die Schaffung neuer bewaffneter paramilitärischer Blöcke mit staatlicher Unterstützung, Finanzierung und Zusammenarbeit genannt. Es ist schwierig, die Grenzen zwischen Paramilitarismus und Staat zu ziehen. //Foto: F Delventhal, CC BY SA 2.0

Eine der schlimmsten systematischen Menschenrechtsverletzungen seitens des Staates ist die Ausrottung des linken Bündnisses Union Patriótica (UP) nach seiner Gründung 1985.

Darüber hinaus muss sich der kolumbianische Staat vor dem Gesetz für die außergerichtliche Hinrichtung von mindestens 6.402 Zivilist*innen zwischen 2002 und 2008 verantworten. Angehörige der kolumbianischen Armee nahmen Menschen gefangen, ermordeten sie und stellten sie später als im Kampf getötete Guerrilleros dar. Dieser Skandal ist als "falsos positivos" bekannt."

Die Zivilgesellschaft

Demonstration der Unión Patriótica (UP)
Die Zivilgesellschaft hat auch in der ganzen Geschichte des Konflikts eine wichtige Rolle gespielt. Kollektive, Organisationen, Kommunale Räte, soziale Anführer*innen, Stundent*innen, Lehrer*innen, Arbeiter*innen u.a. kämpfen für ihre Rechte und leisten Widerstand in den Territorien. Sie haben auch den Konflikt und die entsprechenden Dimensionen sichtbar gemacht. Eine aktive Militanz der Zivilgesellschaft wurde vom Staat und Paramilitärs brutal niedergeschlagen. Über sechs Tausend Mitglieder des Bündnisses Unión Patriótica (UP) wurden ermordet darunter auch Präsidentschaftskandidaten. Dieses Verbrechen wurde offiziell als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit deklariert, bleibt jedoch bis heute straflos. // Foto: Semanario Voz, CC BY NC SA 2.0

Unternehmer*innen und Großgrundbesitzer*innen

Großunternehmer*innen, Großgrundbesitzer*innen und Viehzüchter*innen haben direkt am kolumbianischen Konflikt mitgewirkt und auch von diesem profitiert. Vor allem gesellschaftliche Gruppen, die Land und Besitz angehäuft hatten, bereicherten sich durch Enteignungen, mit dem bewaffneten Konflikt und dem Drogenhandel verbundene Wirtschaftszweige oder erlangten politische Macht. In der offiziellen Anhörung zum Beitrag zur Wahrheit vor der Sondergerichtsbarkeit für den Frieden (JEP) im April 2023, bestätigte der ehemalige paramilitärische Anführer Salvatore Mancuso die Kooperation von nationalen und multinationalen Unternehmen wie Coca-Cola, Postobón, Bavaria und Ecopetrol mit den Paramilitärs, um Gewerkschafter*innen ermorden zu lassen oder Ländereien aufzukaufen. Ähnliche Abmachungen sind von Betreiber*innen von Palmöl-, Bananen- Zuckerrohplantagen und Minen bekannt.

Mafiöse Strukturen und Drogenkartelle

Pablo Escobar auf einem Foto der Polizei
In den 1970er und 1980er Jahren konzentrierten sich die Drogenkartelle vor allem in den Städten, die bekanntesten sind das Medellín-Kartell und das Cali-Kartell. Sie kooptierten den kolumbianischen Staat und kollaborierten mit paramilitärischen Gruppen. Sie sind verantwortlich für eine Vielzahl der politischen Verfolgung, Morde und Vertreibung. Diese Kartelle wurden in den 1990er Jahren aufgelöst, allerdings ist nach dieser Zeit der Anbau von Kokaplantagen enorm angestiegen. Nach dem Zusammenbruch der Kartelle sind neue Gruppen entstanden, die ihre Aktivitäten teilweise nach Mittelamerika und Mexiko verlagert haben. //Foto: Pablo Escobar, Nationale Polizei von Kolumbien, Public Domain, via Wikimedia Commons

Die Beteiligung der Guerrillas am Drogenhandel hatte vorrangig mit dem Produktionsprozess des Kokains zu tun. Die Guerilla finanzierte sich durch die Erhebung von Gebühren für die Bewachung illegaler Ernten, die Besteuerung von Labors und die Nutzung illegaler Landebahnen. Die paramilitärischen Gruppen haben seit ihrer Zusammenarbeit mit dem Medellín-Kartell und dem Cali-Kartell in den 1980ern eine direkte Verbindung zum Drogenhandel. Der Drogenhandel dient im bewaffneten Konflikt sowohl den Guerillas als auch den Paramilitärs als Finanzierungsquelle.

Internationalisierung des Konflikts

Der kolumbianische Konflikt kann nur im globalen Kontext verstanden werden. Dieser Kontext des Kalten Krieges und des antikommunistischen Kampfes und Widerstands in verschiedenen Teilen der Welt lieferte nicht nur ideologische Bezugspunkte und wirtschaftliche Ressourcen, sondern übte seit Beginn des Konflikts auch starken Druck aus, der die Eskalation des Konflikts förderte.

Mit dem Vorwurf der kommunistischen Einflussnahme auf den Aufstand vom 11. April 1948 verlieh der Staat der so genannten kommunistischen Bedrohung in Lateinamerika eine reale Dimension und der Notwendigkeit einer antikommunistischen Politik auf dem gesamten Kontinent Nachdruck. Im Einklang mit den geopolitischen Zielen der USA wurde angenommen, dass die UdSSR und der Kommunismus eine ernsthafte Bedrohung für die westliche und christliche Zivilisation darstellten. Es wurde ein System von zwischenstaatlichen antikommunistischen Allianzen entwickelt, das mit der Truman-Doktrin übereinstimmte und offiziell über das panamerikanische System, die OAS, den Interamerikanischen Vertrag über gegenseitige Beistandsleistung (TIAR) und die 1961 gestartete Allianz für den Fortschritt (Alianza para el progreso) koordiniert wurde. Kolumbien brach als einziges Land der Region neben dem Abbruch diplomatischer Beziehungen zur UdSSR auch die Beziehungen zu Kuba ab, als die Revolution siegte.

Die Streitkräfte Kolumbiens wurden an der School of the Americas in den USA unter dem Aspekt der nationalen Sicherheit und des internen Feindes ausgebildet, wodurch interne soziale Konflikte ausschließlich als Ergebnis des Eindringens des internationalen Kommunismus betrachtet wurden. Nach dem Ende des Kalten Krieges und der Frente Nacional (Nationalen Front 1958-1974) in Kolumbien nahm der antikommunistische Kampf in Kolumbien erschreckende Dimensionen an. In diesem Rahmen wurde eine äußerst gewalttätige Atmosphäre geschaffen, in der Paramilitärs in Zusammenarbeit mit staatlichen Kräften und unter Finanzierung der USA die Vernichtung von über 6.000 kommunistischen Militanten und Kämpfer*innen der Kolumbianischen Kommunistischen Partei (PACOCOL), ihrer Koalition sozialer Bewegungen Unión Patriótica (UP) und der verbündeten Guerillas und Bäuer*innen betrieben.

Sowohl interne als auch externe Akteure haben sich um zwei Arten der internationalen Zusammenarbeit bemüht: erstens um politische Unterstützung und Anerkennung von außen und zweitens um militärische und logistische Unterstützung im Krieg. Auf internationaler Ebene spielt Kolumbien eine wichtige geostrategische und wirtschaftliche Rolle: Es hat eine Pazifik- und eine Atlantikküste und grenzt unter anderem an Venezuela, was den USA seit Ende der 1990er Jahre ein Dorn im Auge ist. Kolumbien erlaubt neun US-amerikanische Militärstützpunkte auf seinem Territorium und war seit dem Kalten Krieg mit seinen rechtsgerichteten, neoliberalen Regierungen ein konstanter Verbündeter der USA und ein Vertreter ihrer wirtschaftlichen Interessen in Lateinamerika.

Eine Veränderung des politischen und wirtschaftlichen Systems zugunsten der Mehrheit hätte unmittelbare Auswirkungen auf die neokoloniale Ausbeutungslogik zwischen den Vereinigten Staaten, Europa und Kolumbien. Aus diesem Grund wurde die Bekämpfung der Aufständischen nicht nur finanziell, sondern auch durch Ausbildung, militärische Unterstützung, Logistik und intensive Medienpropaganda vehement von den USA und ihren Verbündeten unterstützt.

Menschen halten ein Transparent mit der Aufschrift "Stop US Imperialist agression in Latin America; no to plan colombia; lasoco."
Im Jahr 2000 wurde unter der Regierung von Andrés Pastrana der „Plan Colombia“ mit den USA vereinbart. Die bereitgestellten Gelder flossen zu 71% in das Militär und die Polizei. Der Plan Colombia erntete große Kritik aufgrund seiner Unwirksamkeit und seiner katastrophalen Auswirkungen auf Menschenrechte, Gesundheit und Umwelt. Letztere unter anderem in Folge des massiven Einsatzes der Herbizides Glyphosat. //Foto: Ben Sutherland, CC BY 2.0, via Flickr.

Ist Deutschland involviert?

Auch Deutschland hat wirtschaftliche Interessen in Kolumbien. Deutschland ist der fünftgrößte Handelspartner Kolumbiens und der größte Handelspartner innerhalb der EU im Rahmen eines Freihandelsabkommens seit 2013. Zuletzt vereinbarten im Frühjahr 2022 Bundeskanzler Olaf Scholz und der damalige kolumbianische Präsident Iván Duque die Erhöhung des Imports kolumbianischer Steinkohle nach Deutschland. Auf diese Weise will Deutschland einen Teil seines Bedarfs an russischer Kohle ersetzen.

Auf wessen Kosten?

Die größten Kohleexporteur*innen in Kolumbien haben zahlreiche Menschenrechts- und Umweltverletzungen begangen, von denen vor allem die in den Abbaugebieten lebenden Gemeinden betroffen sind. Nach dem Wahlsieg von Gustavo Petro, dem ersten linksgerichteten Präsidenten Kolumbiens im Juni 2022, kündigte dieser eine Abkehr von der Förderung fossiler Brennstoffe im Land an.

Venezuela und Ecuador sind wichtige Verbündete bei der Lösung des bewaffneten Konflikts in Kolumbien. Alle Länder der Region haben mehrmals ihre Unterstützung für den Friedensprozess mit den FARC und die damit verbundenen Vorteile für die Stabilisierung der Region zum Ausdruck gebracht. Die Regierung unter Petro nahm nach seinem Amtsantritt offiziell die Beziehungen mit Venezuela wieder auf. Im November 2022 nahm die kolumbianische Regierung erneut die Friedensverhandlungen mit den Guerillas der ELN in Venezuela auf.

Zeitstrahl: Die Geschichte des Konflikts

Chronologie des Konflikts

Die Geographie des Konflikts

Der kolumbianische Konflikt ist nicht im ganzen nationalen Territorium einheitlich, und hat, je nach Region, spezifische Dynamiken entwickelt. Gewisse Territorien sind historisch stärker von Gewalt betroffen als andere. Allgemein hat der Konflikt in ländlichen Regionen, an der Peripherie und in Grenzregionen seinen Ursprung und wurde seitdem dort viel stärker ausgetragen als in den Städten. 63,5 % der Opfer lebten in ländlichen Gebieten und in Randgebieten. Dies hat verschiedene Gründe.

Einerseits ist der Staat stark zentralisiert und nur bedingt in den ruralen Zonen des Landes präsent. Seine Präsenz in den ländlichen Regionen ist historisch einer militärischen Art gewesen. Dies begünstigte die Ausweitung und Kontrolle irregulärer bewaffneter Akteur*innen, die in gewissen Fällen als Ersatz der Staates fungierten. Viele junge Menschen treten aufgrund von Gewalt, Perspektivlosigkeit und Prekarität in bewaffnete Gruppierungen ein.

In der Geografie des Konflikts können wir erkennen, wie die Intensität des Konflikts zunimmt, wenn wir uns Gebieten des Landes nähern, die über mehr Bodenschätze verfügen, sowie die Regionen mit einer starken Bodenkonzentration für Monokulturen, extensive Tierhaltung und seit den 1980er Jahren auch illegale Anbaukulturen wie Marihuana, Koka und Mohn. Dort sind Spannungen zwischen Großgrundbesitzer*innen, nationalen und internationalen Großkonzernen, Bauern und Bäuerinnen, lokalen Gemeinschaften, Staat, paramilitärischen Gruppen und Guerilla-Gruppierungen an der Tagesordnung. Sie kämpfen um die Territorialkontrolle und verteidigen ihre strategischen Interessen.

Gebiete mit hoher Konfliktintensität

In der Tat haben sich auf dem gesamten kolumbianischen Staatsgebiet strategische Korridore herausgebildet, die für die bewaffneten Akteur*innen eine wichtige Rolle spielen, da sie Zugang zu anderen Ländern, zu Gebieten mit legaler oder illegaler Ausbeutung natürlicher Ressourcen oder zu Gebieten mit illegalem Anbau bieten, die die Grundlage der Kriegswirtschaft bilden und den Gruppen, die die Kontrolle über sie erlangen, erhebliche Vorteile verschaffen. In dieser interaktiven Karte, die auf Informationen der kolumbianischen Wahrheitskommission beruht, werden die aktuellen strategischen Korridore aufgelistet und beschrieben.

Die strategischen Korridore von dem Konflikt

Aktuelle Lage

Von einem Frieden nach dem Friedensabkommen kann in Kolumbien keine Rede sein.  Allein im ersten Halbjahr 2022 wurden über 70.000 Menschen innerhalb Kolumbiens vertrieben. Seit dem Abschluss der Friedensverhandlungen im Jahr 2016 bis Ende Juli 2022 wurden in Kolumbien 1.334 Aktivist*innen und 327 ehemalige FARC-Kämpfer*innen ermordet. Besonders gefährdet sind Menschen, die sich politisch gegen Bergbau-, Energie- und agroindustrielle Projekte wehren, sowie kommunale Vertreter*innen, die die Durchsetzung ihrer sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Rechte in ihren Gemeinden fordern.

Menschen aufgereiht
Fast sechs Jahre nach Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen der FARC-Guerilla und dem Staat liegt die Umsetzung bei weniger als 10 %. Außerdem gibt es ein ernstes Problem der Unterfinanzierung des Abkommens. In den jüngsten Nachrichtenberichten seitens der neuen Regierung wurde berichtet, dass es zu einer schwerwiegenden Veruntreuung von Friedensgeldern unter der Duque-Regierung gekommen ist, die für einen Zeitraum von zehn Jahren vorgesehen waren und innerhalb von vier Jahren für andere Zwecke ausgegeben wurden.
Menschen sitzen auf Stühlen
Die Wahl des linken Präsidenten Gustavo Petro im Jahr 2022, erfüllt das Land mit Hoffnung auf strukturelle Veränderungen, die den Weg hin zu einem nachhaltigen Frieden ebnen. Dafür ist eine gerechtere Verteilung der Ressourcen grundlegend, sowie der Schutz der Menschenrechte und Umwelt sowie eine Abkehr vom Neoliberalismus und seinen sozialen Verwerfungen. Im Rahmen des Gesetzes des „totalen Friedens“ möchte die Regierung Petro den Kontakt zu allen noch aktiven bewaffneten Akteur*innen wiederherstellen und Friedensverhandlungen mit ihnen führen. Das Gesetz wurde in den ersten hundert Tagen der neuen Regierung verabschiedet, ebenso wie eine Steuerreform. Die Umsetzung des Friedensabkommen hat höchste Priorität und wird beschleunigt.
Demonstration in Kolumbien am 7. März
Im ersten Jahr der Regierung von Gustavo Petro und Francia Márquez wurden umfangreiche Reformen in den Bereichen Renten, Arbeit, Steuern und Gesundheit vorgeschlagen. Die Massenmedien, die großen privaten Rentenfonds, die privaten Gesundheitsdienstleister (EPS) und die großen Unternehmen haben ein Narrativ der Angst und Ablehnung gegenüber diesen umfassenden Reformen geschaffen.   Die Opposition, angeführt von den Anhänger*innen von Álvaro Uribe und unterstützt von den großen Wirtschaftsmächten, hat zum Sturz der demokratisch gewählten Regierung aufgerufen. Gustavo Petro bezeichnete dies als einen "sanften Putsch".   Am 7. Juni 2023 wurde landesweit zu Massenmobilisierungen aufgerufen, um die vorgeschlagenen Reformen zu verteidigen, ihre Verabschiedung im Kongress zu fordern und sich gegen Medienmanipulation und Desinformation zu wehren. Es fand eine massive Mobilisierung im gesamten Land statt, um die Reformen ausdrücklich zu unterstützen. //Marchas 7 de Junio, Public Domain, via Radio Nacional de Colombia
Gustavo Petro und Lula da Silva schütteln die Hände.
Im Verlauf eines Regierungsjahres hat Kolumbien auch eine intensive internationale Agenda vorangetrieben, innerhalb derer Kooperationsbeziehungen zu afrikanischen Ländern, Spanien, Portugal sowie zahlreichen lateinamerikanischen Ländern aufgebaut wurden. Kolumbien ist erneut offizielles Mitglied der Südamerikanischen Union UNASUR geworden und engagiert sich intensiv für die regionale Integrationsagenda.//Lula da Silva y Gustavo Petro, Public Domain, via Presidencia de Colombia

Literaturverzeichnis

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Ein Beitrag von Adriana Yee Meyberg und Tininiska Zanger.

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