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Oktober
2022

Zwangsheirat in Deutschland

Sehr viele Frauen* müssen unfreiwillig eine Ehe eingehen. Laut Unicef sind weltweit 700 Millionen Frauen* zwangsverheiratet (Stand 2014). Doch worin besteht die Problematik? Wo liegt der Unterschied bei einer zwangsverheirateten Migrantin* im Vergleich zur zwangsverheirateten Einheimischen*?

 

Diese und andere Fragen erklären wir in diesem Beitrag.

Eine Zwangsheirat definiert eine Ehe, die lediglich auf Nötigung und Druck basiert. Hierbei geht mindestens eine Person von beiden ungewollt die Heirat ein und das meist in einem ziemlich frühen Alter und aus verschiedensten Gründen.

Egal ob aus finanziellen, sozialen oder anderen Absichten - Fakt ist, eine Zwangsehe ist moralisch keineswegs vertretbar und in Deutschland seit 2011 durch den Paragraphen 237 des Gesetzbuches strafbar.

Das Problem beim §237 ist jedoch, dass dieser sich ausschließlich auf standesamtliche Ehen bezieht und nicht auf bspw. religiöse/rituelle Verbindungen zwischen zweierlei Menschen. Deshalb soll dieser auf “eheähnliche Verbindungen” erweitert werden.

In den meisten Fällen sind es junge Frauen*, die der Ehe genötigt werden und noch minderjährig sind. Zudem handelt es sich oftmals um heterosexuelle Ehen. Häufig kommt es vor, dass die Ehemänner den ihnen zwangsverheiratete Frauen* körperliche, als auch seelische Gewalt zufügen. Darunter fallen unter anderem Erniedrigung, Gewalt in Form von Körperverletzung, Vergewaltigung oder Mord.

So berichtet Cennet Krischak in vielen Interviews, dass der damalige Ehemann ihr sogar vorschrieb, wie sie ihren Kaffee zu trinken habe.Cennet wurde mit 13 Jahren in Deutschland zwangsverheiratet und mit 14 bereits Mutter.

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Speziell für Migrantinnen* ändert sich die Situation. Denn das Problem sieht hier folgendermaßen aus:

Die Frau hat z.B. lediglich durch den zwangsverheirateten Mann eine legale Aufenthaltsgenehmigung. Sie erfährt Gewalt innerhalb der Beziehung, ist diese unfreiwillig eingegangen und möchte sich nun Hilfe holen. Im Vergleich zu einer Einheimischen hat die Migrantin* jedoch schwereren Zugang zu staatlicher Hilfe und zudem Befürchtungen den Aufenthaltsstatus durch eine mögliche Trennung zu verlieren.

Denn die aktuelle Gesetzesregelung gibt einer verheirateten Migrantin* im Falle eines fehlenden, eigenen Aufenthaltsrechtes eine Frist von drei Jahren vor, um einen legalen und unabhängigen Status zu bekommen.

Die Frau muss  drei Jahre die Zwangsheirat aushalten und wird somit institutionell diskriminiert.

Nebenbemerkung: Die Diskriminierung verteilt sich auf drei große Ebenen. Nämlich die Individuelle, gesellschaftliche und und institutionelle Diskriminierungsebene. Die hier wichtige, institutionelle Ebene, drückt sich aus, indem die Diskriminierung durch staatliche Gesetzte, Rechte und bereits bestehende Abläufe erfolgt z.B. in Schule, Ämtern etc. .
Neben dem familiären Druck kann sie des Weiteren mit alltäglicher Diskriminierung konfrontiert werden, die sich z.B. in Form eines “gut gemeinten” Kommentares oder übergriffigen Fragen ausdrücken kann.

"Warum lässt du dich denn auch so sehr unterdrücken? Stell dich nicht so an! Trenn dich doch einfach von dem.” Nicht selten kommt es vor, dass weiße Menschen sich BIPoC's überlegen fühlen. Dabei werden oft die Erfahrungen und eigene Handlungsmöglichkeiten der Frauen* ignoriert und diese werden lediglich als "Opfer" dargestellt.

Doch in der Realität sieht das anders aus. Um all dem entgegenzuwirken haben sich europaweit selbstorganisierte Kollektive, Initiativen, Anlaufstellen bzw. Organisationen von und für Migrant*innen gegründet und gründen sich heute immer noch.

Ein Beispiel ist der österreiche Trägerverein "SOMM (externer Link, öffnet neues Fenster)". Die Arbeitsweise drückt sich insofern aus, dass für und mit den Frauen* unter anderem der Raum geschaffen wird in einen Erfahrungsaustausch zu kommen, als auch Beratungsangebote, Deutsch- und/oder Kommunikationstrainings oder PC-Kurse in Anspruch zu nehmen.

Ähnliche Ansatzweisen haben ebenfalls Selbstorganisationen , wie "Casa do Brasil de Lisboa (externer Link, öffnet neues Fenster)", welcher sich in Portugal unter anderem gegen Rassismus, Geschlechterungleichheiten und politische Verfolgungen einsetzt.

Über keine Frau* dieser Welt sollte und soll hinweg entschieden werden. Sei es im Kontext ihres beruflichen oder privaten Lebens. Sie sollte sich selbst für oder auch gegen eine Ehe entscheiden dürfen und auch für die dementsprechende Person. So ist dieser Ansatz auf jegliche Lebensbereiche einer weiblich gelesenen/identifizierten Person zu übertragen.

Fußnoten

Frauen*/Migrantinnen*: Das Sternchen bezieht sich im Allgemeinen auf das korrekte Gendern (geschlechtergerechte Sprache) mit Einbezug auf alle Geschlechter.

In diesem Beitrag soll er jedoch spezifisch auf alle weiblich gelesene und identifizierte Menschen aufmerksam machen. Also auch auf diejenigen, die sich nicht als Frau identifizieren aber die selbe Diskriminierung erleben wie eine. Männlich gelesene und identifizierte Personen sind in diesem Falle ausgeschlossen.

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Ein Beitrag von Adalet Erkan

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