Wer bestimmt über unseren Körper? Kaum ein Kampf stellt diese Frage radikaler als die weltweit hart geführten Proteste um das Recht auf Abtreibung.
Die Entscheidung, eine Schwangerschaft zu vollenden oder abzubrechen, bedeutet auch die Macht, über das eigene Schicksal zu bestimmen. Dieser Kampf tobt global - Wann immer Rechte durch konservative und ultrarechte Regierungen eingeschränkt werden, sind die reproduktiven Rechte und damit auch das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch als erstes bedroht.
Begleitet uns zu drei aktuellen Schauplätzen, die zeigen, wie unterschiedlich die Situationen im Kampf um das Recht auf Abtreibung aussehen kann.
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) enden sechs von zehn ungewollten Schwangerschaften mit einem Schwangerschaftsabbruch, und bei 45 % dieser Schwangerschaften handelt es sich um unsichere Abtreibungen. Diese sind die (vermeidbare) Hauptursache für die Müttersterblichkeit und können schwerwiegende gesundheitliche Komplikationen sowohl für die Psyche als auch für den Körper haben – unsichere Abtreibungen können auch tödlich enden. Hinzu kommen schwere soziale und wirtschaftliche Belastungen, auch für Gemeinden und Gesundheitssysteme. Im Jahr 2020 wurde der Schwangerschaftsabbruch deswegen in die Liste der wesentlichen Gesundheitsdienste der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aufgenommen.
Die meisten Menschen, die keinen Zugang zu sicheren Abtreibungen haben, sind arme Menschen, in abgelegenen ländlichen Gebieten, Jugendliche, Migrantinnen, und Angehörige ethnischer oder sexueller Minderheiten. Oft ist es diese Gruppe, die es sich nicht leisten kann, in große Städte oder in andere Länder zu reisen, wo sie Zugang zu sicheren Abtreibungsdiensten haben könnten. Dabei finden laut einem Bericht von Amnesty International 97 % aller unsicheren Abtreibungen in der Welt im globalen Süden statt.
Kolumbien ist in der Region und weltweit eine Referenz im Kampf für die Abtreibungsrechte und feiert seine jüngste Errungenschaft: Im Februar 2022 wurde die Abtreibung bis zur 24. Schwangerschaftswoche vollständig entkriminalisiert. Nach der 24. Woche bleibt die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs in den drei Fällen, die bereits 2006 im Gesetz definiert wurden weiterhin gewährleistet.
Wir sprachen mit Ana Cristina González Vélez, der Sprecherin der Bewegung "Causa Justa por el Aborto". Causa Justa , ist für die Klage verantwortlich, die im Februar 2022 zu dem historischen Urteil zur Entkriminalisierung führte. Die Causa Justa-Bewegung ist eine große Koalition, die sich für die Entkriminalisierung der Abtreibung einsetzt und aus zahlreichen Frauenorganisationen, Feminist*innen, Menschenrechtsorganisationen, Aktivist*innen, Gesundheitsdienstleistern, Akademiker*innen und Forschungszentren aus dem ganzen Land besteht. Wir sprachen mit Ana Cristina über diesen Kampf, die Herausforderungen, die Siege und die Arbeit, die weitergeht!
Während die kolumbianischen Mitstreiter*innen eine Lockerung des Abtreibungsgesetzes errungen haben, kämpfen Menschen in Polen gegen eines der striktesten Gesetze weltweit. Seit 2020 sind Schwangerschaftsabbrüche in Polen praktisch verboten. Ein Urteil des Verfassungsgerichtes erklärte Schwangerschaftsabbrüche aufgrund von schwerer Fehlbildungen des Fötus für verfassungswidrig. Somit gibt es nur noch zwei Fälle, in denen man in Polen legal abtreiben kann: Wenn das Leben von Schwangeren in Gefahr ist und wenn die Schwangerschaft die Folge eines sexualisierten Übergriffs oder Inzest ist.
Zehntausende gehen seit diesem Urteil auf die Straßen und protestieren für ihr Recht auf Selbstbestimmung. Mit Slogans wie „Hier ist Krieg“ und „Wir haben genug“ kritisieren sie die rechtskonservative Regierung und die katholische Kirche, die großen Einfluss in der Gesellschaft hat.
Ein wichtiger Teil des Kampfes ist es, Schwangeren weiterhin zu ermöglichen sicher abzutreiben. Deswegen organisieren sich Aktivist*innen, um Menschen zu beraten, über alternative Möglichkeiten des Schwangerschaftsabbruchs aufzuklären und diese zu vermitteln. Tausende fahren mittlerweile über die deutsche Grenze, um dort einen sicheren Schwangerschaftsabbruch machen zu können.
Wir sprachen mit Iza vom Kollektiv „Ciocia Basia“ aus Berlin. Das Kollektiv, dessen Name sich auch mit „Tante Barbara“ übersetzen lässt, unterstützt Menschen dabei eine Abtreibung in Deutschland zu organisieren. Seit 2015 sind die Aktivist*innen aktiv und arbeiten eng mit anderen Partner*innenorganisationen zusammen. Iza erzählt von der politischen Arbeit, dessen Hürden und Schwierigkeiten und von der länderübergreifenden Zusammenarbeit mit anderen Mitstreiter*innen.
Wie unterschiedlich die Situationen im Kampf um das Abtreibungsrecht sind, zeigt sich an einem weiteren Beispiel: Den Vereinigten Staaten. Dort war die Abtreibung seit mehreren Jahrzehnten legal - bisher.
Ein Leak von Informationen enthüllte einen beunruhigenden Entwurf des Obersten Gerichtshofs: Fünf rechtsgerichtete Richtern haben dafür gestimmt das bahnbrechendes Urteil Roe v. Wade zu kippen. Dieses schützt auf nationaler Ebene das Recht auf Abtreibung ist und ist damit ein Meilenstein für die Förderung feministischer Rechte. Das Gericht hat den Schutz über das Abtreibungsrecht aufgehoben und dadurch dürfen mindestens 26 von 50 US-Bundesländern Abtreibungen verbieten, was Millionen von Menschen, die schwanger werden können, betrifft.
All diese Beispiele haben gezeigt: der Kampf um reproduktive Rechte ist aktueller denn je. Auch in Deutschland gingen breite Bündnisse von feministischen Gruppen, Ärzt*innen, Gewerkschaften, Beratungsstellen und Parteien in den letzten Jahren auf die Straße, um für ihr Recht auf Selbstbestimmung zu kämpfen. Mit Erfolg: Im März 2022 wurde die Abschaffung von Paragraph 219a beschlossen, der die „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ verbietet. Das bedeutete, dass z.B. Ärzt*innen, die öffentlich über Schwangerschaftsabbrüche informieren, sich strafbar machten und hohe Geldstrafen dafür befürchten mussten.
Trotzdem bleibt der Schwangerschaftsabbruch in Deutschland laut §218 nach wie vor rechtswidrig und kann mit drei Jahren Gefängnis bestraft werden. Es gibt allerdings Ausnahmen, bei denen man straffrei abtreiben kann. So darf man bis zur 14. Schwangerschaftsswoche einen Abbruch vornehmen, wenn man drei Tage vorher bei einer „Schwangerschaftskonfliktberatung“ war, die von einer staatlich anerkannten Beratungsstelle vorgenommen wurde. Nach der 14. Woche darf man nur noch abtreiben, wenn es einen medizinischen Grund gibt, wie z.B. die Gefahr für die körperliche und psychische Gesundheit der schwangeren Person.
Die Kämpfe überall auf der Welt zeigen, dass das Recht, über den eigenen Körper zu bestimmen, nach wie vor unter ständiger Bedrohung steht. Egal, ob Schwangerschaftsabbrüche verboten oder erlaubt sind: Staaten beanspruchen ein Mitspracherecht bei Entscheidungen, die nur uns und unseren Körper etwas angehen. Deswegen ist das Recht auf Selbstbestimmung keine Selbstverständlichkeit und muss jeden Tag aufs Neue verteidigt und erkämpft werden.
Ein Beitrag von Alina Kopp und Adriana Yee Meyberg
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Die Bilder (in der Reihenfolge ihres Erscheinens):
1. Paula Kindsvater, CC BY-SA 4.0 (externer Link, öffnet neues Fenster), via Wikimedia Commons
2. Protoplasma K. CC BY-SA 2.0 (externer Link, öffnet neues Fenster) , via Flickr
3.Zuza Gałczyńska (externer Link, öffnet neues Fenster), via Unsplash
4.Lorie Shaull from St Paul, United States, CC BY-SA 2.0 (externer Link, öffnet neues Fenster), via Wikimedia Commons
5. Legoktm, CC BY-SA 4.0 (externer Link, öffnet neues Fenster), Via Wikimedia Commons
6. Bundesarchiv, CC BY-SA 3.0 (externer Link, öffnet neues Fenster), via Wikimedia Commons
#LGBTIQ+ (externer Link, öffnet neues Fenster)#Antifeminismus (externer Link, öffnet neues Fenster)#Gender (externer Link, öffnet neues Fenster)#Abtreibung (externer Link, öffnet neues Fenster)
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