Viele glauben, Atomkraft wäre die Lösung für den weltweiten Energiebedarf. Das liegt oft an Falschinformationen und Halbwissen. Denn eine Menge spricht dagegen: Zum Beispiel Reaktorkatastrophen, die weltweit ungelöste Frage, wo man hochradioaktiven Atommüll lagern soll, und die problematische Gewinnung von Uran als Grundlage für Atomstrom. Schließlich ist Uran über Jahrtausende radioaktiv und damit schädlich für Mensch und Umwelt. Was also ist dran an der Idee, dass Atomkraft für die Zukunft hilfreich und gut ist?
Atomkraft als Rettung in der Not?
In der Politik gilt Atomkraft oft als klimafreundliche Lösung im Kampf gegen die Erderhitzung: Die Europäische Union (EU) stufte 2022 Atomkraft sogar als „nachhaltig“ ein. Das wollte vor allem Frankreich, nach den USA und China der drittgrößte Betreiber von Atomkraftwerken (AKWs). Auf der Weltklimakonferenz 2023 in Dubai verkündete die Atomlobby das Ziel, die Atomkraftkapazitäten bis 2050 zu verdreifachen. Und auf dem Atomenergiegipfel in Brüssel im März 2024 bestätigten die Vertreter*innen der über 30 teilnehmenden Atomstaaten dieses Ziel.
Trotzdem halten sich bis in höchste politische Kreise Halb- und Unwahrheiten zum Thema Atomkraft und bestimmen die Debatten um die Zukunft dieser Energiequelle. Wir zeigen mit Daten und Fakten, was an den Mythen rund um das Thema dran ist.
1 – Atomkraft hilft, die Klimakrise zu lösen2 - Atomstrom ist klimaneutral und darum sauber3 - Atomstrom ist billig!4 - Atomstrom trägt zur Energiesicherheit bei5 - Atomstrom macht unabhängig von Energieimporten6 – Atomkraft dient allein friedlichen Zwecken7 – Atomkraft hilft auch den Staaten, die Uran produzieren8 - Atomkraft bringt auch afrikanischen Staaten Energiesicherheit und Entwicklung9 – Mini-AKWS und Fuionsreaktoren sind die Zukunft10 - Deutschland ist das einzige Land, das aus Atomkraft aussteigt, der Rest der Welt setzt darauf
Das Gegenteil ist der Fall: Weltweit erzeugen Kohlekraftwerke mit einer Leistung von 2200 Gigawatt Strom. Um sie durch Atomkraftwerke zu ersetzen, müssten rund 1500 neue Atomreaktoren gebaut werden. Das ist völlig unrealistisch: Die neuen Reaktoren in Finnland, Frankreich und England lagen und liegen erheblich hinter ihrem Zeitplan und kosten weit über 10 Milliarden Euro pro Meiler. Stattdessen sollte man mit dem Geld Erneuerbare Energien stärken (Sonne, Wind, Geothermie, Netze, Speicher usw.).
„Anders als Kohle und Gas wird bei Atomstrom kein CO2 freigesetzt, also ist es klimaneutral.“
Ja, im Atomkraftwerk (AKW) selbst werden bei der Stromproduktion keine schädlichen Klimagase freigesetzt. Und Atomstrom ist im Vergleich zu Kohle und Erdgas vergleichsweise CO2-arm. Atomstrom ist aber keinesfalls klimaneutral, weil Abbau, Verarbeitung und Transport des Brennstoffs Uran und alle nachgelagerten Prozesse sehr wohl CO2 verursachen.
Wenn wie in Arlit in Niger mitten in der Sahara Millionen Tonnen hochgiftige und radioaktive Gesteins- und Schlammreste unter freiem Himmel gelagert werden, trägt jeder Sturm gesundheitsschädliche Partikel in die Wohnungen der Anwohner*innen.
Die Katastrophen in Tschernobyl 1986 und Fukushima 2011 wiederum zeigen, dass kein Reaktor sicher ist. Unwetter, Kriege und andere Extremereignisse können AKWs zerstören und ganze Landstriche unbewohnbar machen. Atomstrom ist also weder CO2-neutral noch sauber, aber extrem gefährlich!
„In Deutschland kostete Atomstrom nur 2 bis 3 Cent pro Kilowattstunde. Wir sollten darum in Atomstrom investieren!“
Bei dieser Rechnung wurden lediglich die laufenden Betriebskosten berücksichtigt. Es fehlen die vielen Milliarden für den Bau eines Reaktors sowie die staatlichen Subventionen für Forschung und Endlagerung. Würde man heute in Deutschland ein neues Atomkraftwerk bauen, dann müsste man – abhängig von der Betriebszeit des Kraftwerks – für eine Kilowattstunde Atomstrom mit 13,6 bis 49 Cent rechnen. Dabei sind die Kosten für die Endlagerung des entstehenden Atommülls noch nicht einmal einberechnet. Die werden in Deutschland wie überall sonst hauptsächlich über Steuern finanziert. Atomstrom ist also ganz schön teuer – die Kosten werden nur versteckt.
„Erneuerbare allein reichen nicht: Gerade im Winter, wenn die Sonne nur wenige Stunden am Tag scheint und kein Wind weht, braucht es Atomstrom, um die Energieversorgung sicherzustellen. Ansonsten droht die Dunkelflaute.“
Das haben etliche Atomkraftbefürworter*innen nach dem endgültigen Ausstieg aus der Atomkraft gesagt. Dabei stellten sowohl Klimaminister Robert Habeck als auch Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur, fest, dass die Abschaltung der letzten Atomkraftwerke im April 2023 kein Versorgungsrisiko darstellte: Die drei letzten AKWs brauchte es für die Stromversorgung im Winter in Deutschland nicht. Es wurde sogar deutlich weniger Braun- und Steinkohle zur Stromerzeugung verfeuert, weil die Erneuerbaren auf einen Anteil von 55 Prozent stiegen und der Winter mild war. In einem vollständig regenerativen Energiesystem werden vor allem Gasturbinen, die grünen Wasserstoff verfeuern, mögliche Versorgungslücken überbrücken. Das heißt, Dunkelflauten sind durchaus ein Problem, Atomkraft ist aber nicht die Lösung.
Auch bei Naturkatastrophen wie Hurrikanes, Hochwasser oder Erdbeben müssen AKWs zur Sicherheit abgeschaltet werden, das ist aufwändig und das Restrisiko einer großen Katastrophe bleibt immer. Atomstrom ist also völlig ungeeignet für die Energiesicherheit!
„Im Gegensatz zu Gas, was viele Staaten lange aus Russland importierten, ist Atomstrom eine zuverlässige und oftmals sogar heimische Energiequelle. Darum sollte sie gefördert werden!“
Das ist Unsinn: Die meisten Staaten weltweit importieren für ihren Atomstrom den Brennstoff Uran aus anderen Ländern. Obwohl die EU mit seinen rund 100 AKWs die weltweit größte Uranverbraucherin ist, ist sie auf Brennstoff aus aller Welt angewiesen. Trotzdem war das Argument zum Beispiel im Wahlkampf 2022 in Frankreich sehr präsent. Dabei kommt ein Großteil des Urans für die französischen AKWs aus Niger!
85 Prozent des weltweiten Uranbedarfs werden in nur 5 Ländern abgebaut: In Kasachstan, Kanada, Namibia, Australien und Usbekistan. In weltweit 13 Anreicherungsanlagen und 38 Brennelementefabriken wird der Rohstoff des Atomzeitalters weiterverarbeitet. Das heißt, wer Atomstrom nutzt, ist von anderen Ländern abhängig.
Das hat sich auch mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine nicht geändert: Die EU bezog im Jahr 2023 23,5 Prozent des benötigten Urans aus Russland, weitere 21 Prozent kamen von Russlands Verbündetem Kasachstan. 18 Reaktoren in Osteuropa können überhaupt nur mit russischen Brennelementen betrieben werden. Unabhängig macht Atomstrom also bei weitem nicht!
„Atomkraft und Atomwaffen haben nichts miteinander zu tun.“
Zunächst wurde Atomkraft in den 1940er Jahren nur entwickelt, um im Zweiten Weltkrieg die Atombombe zu bauen. Uran wiederum wurde im Kalten Krieg zuerst ausschließlich zu militärischen Zwecken abgebaut. Ost und West wollten sich mit Atomwaffen jeweils „abschrecken“.
Erst in den 1960er Jahren begann die Nutzung von Atomkraft als Stromquelle, aber auch sie lässt sich von der militärischen Seite nicht trennen: Das Wissen, Material und die Technologie von Atomkraft tragen immer zur militärischen Nutzung bei.
Außerdem: Wer Uran anreichern kann – und das muss man immer, um es zu nutzen –, kann die Technik auch zum Bau von Atombomben verwenden. In einem Atomkraftwerk wiederum wird etwa ein Prozent des Urans in Plutonium umgewandelt. Damit lässt sich eine Plutonium-Bombe bauen. Nach 1945 hatten die ersten AKWs deshalb nur die Aufgabe, Plutonium für Bomben zu liefern. Die friedliche Nutzung der Atomkraft ist also die Voraussetzung zur militärischen. Und andersherum: Wer Atomwaffen verbieten will, muss sich letztlich auch für den Ausstieg aus der Atomenergie einsetzen!
Das stimmt nicht: Vom Uranreichtum haben die afrikanischen Staaten oder auch die indigenen Gemeinschaften Nordamerikas und Australiens, auf deren Land Uran abgebaut wird, praktisch nichts.
Niger zeigt das besonders eindrücklich. Das Land ist historisch betrachtet einer der großen Uranproduzenten der Welt. Das meiste Uran ging nach Frankreich, was Niger bis 1960 als Kolonialmacht (externer Link, öffnet neues Fenster)beherrscht hatte. Niger profitiert bis heute kaum vom Uranexport, denn bislang zahlte Frankreich nur zwölf Prozent des gesamten Wertes! Das Land gehört zu den ärmsten Ländern der Welt, hat jetzt aber eine strahlende Hinterlassenschaft, für die der französische Bergbaukonzern Orano nicht genügend Sicherheits- und Sanierungsmaßnahmen durchführt. Lies dir unseren Beitrag zur aktuellen Situation in Niger durch! (externer Link, öffnet neues Fenster)
Im Südwesten der USA wiederum wurden seit den 1950er Jahren auf dem Gebiet der indigenen Diné vier Millionen Tonnen Uranerz gefördert. Doch die über 500 verlassenen Minen innerhalb des Reservats wurden bis heute nicht saniert. Es gibt kaum eine Familie, die nicht ein Mitglied durch Lungenkrebs verloren hat. Der Uranbergbau bringt armen Ländern oder Indigenen also nur Probleme. Ein Grund mehr, Atomkraft zu verhindern!
In Ägypten wird bereits das erste Atomkraftwerk gebaut – mit Burkina Faso, Ghana, Südafrika, Nigeria und Kenia gibt es mehrere afrikanische Staaten, die ebenfalls neue AKWs planen.
Doch wie sinnvoll ist das?
Tatsächlich haben fast 600 Millionen Menschen südlich der Sahara keinen Stromanschluss. Wenn die Sonne untergeht, lebt jede*r zweite im Dunkeln. Aber Atomkraft wird nicht dazu beitragen, einzelne Länder oder große Teile des Kontinents zu elektrifizieren. Das liegt vor allem an den gigantischen Kosten für Atomkraft. Im Gegensatz zu den vergleichsweise reichen Industriestaaten, können afrikanische Staaten Atomstrom nicht mitfinanzieren; das heißt, sie machen sich von ausländischen Investoren abhängig.
„Small Modular Reactors sind weniger gefährlich und können wesentlich flexibler eingesetzt werden als herkömmliche AKWs, und der Fusionsreaktor löst alle unsere Energieprobleme“
Nichts spricht dafür, dass kleine Atomreaktoren (SMRs) jemals in nennenswerter Zahl gebaut werden. Gerade weil SMRs klein sind, sind sie noch unwirtschaftlicher als die großen Atomkraftwerke. Es wird geschätzt, dass mindestens 3.000 SMRs gebaut werden müssten, bevor sich die Technologie lohnt.
Doch wozu? Die Zukunft heißt überall auf der Welt Sonne und Wind. Nur während sogenannter Dunkelflauten, wenn also weder die Sonne scheint, noch der Wind weht, braucht es Ersatz. Dafür eignet sich aber Atomkraft nicht. Sie ist bereits im Dauerbetrieb sündhaft teuer, sie nur tage- oder stundenweise zu nutzen, macht sie unbezahlbar.
Ganz abgesehen davon produziert sie immer noch hochradioaktiven Abfall. Und ja: Jeder einzelne kleine Reaktor enthält weniger radioaktives Material als ein großer und ist deshalb nicht ganz so gefährlich. Weil aber eine große Zahl kleiner Reaktoren gebaut werden müsste, erhöht sich das Risiko um ein Vielfaches. Auf „kleine“ AKWs zu setzen, macht also überhaupt keinen Sinn.
Bisher wurden an die 100 Milliarden Euro, Dollar und Pfund in die Fusionsforschung gesteckt, ohne eine einzige Kilowattstunde Strom zu erzeugen. Mini-AKWs und Fusionsforschung sind reine Geldverschwendung.
Man sollte gleich die Erneuerbaren Energien fördern!
„Alle Welt fördert Atomkraft und baut neue Meiler – nur Deutschland nicht. Das ist ein strategischer Fehler!“
So alleine ist Deutschland gar nicht: Es sind derzeit zwar weltweit 407 Atomkraftwerke in Betrieb, sie konzentrieren sich aber auf 31 Staaten. Hinzu kommen die Türkei, Ägypten und Bangladesch, wo erstmals AKWs gebaut werden.
Eine andere Zahl spricht Bände: 159 der 193 UN-Staaten nutzen keine Atomkraft.
Und einige wollen dem Beispiel Deutschlands folgen und aus der Atomkraft aussteigen: Beschlüsse gibt es in Belgien und Spanien, jeweils für das Jahr 2035. Die Schweiz will keine neuen AKWs mehr bauen und die bestehenden AKWs so lange laufen lassen, wie sie sicher sind. In Österreich wurde bereits 1978 der Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen. Italien ist nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl aus der Atomkraft ausgestiegen. 1990 wurde das letzte AKW stillgelegt.
Deutschland ist mit seinem Atomausstieg also in guter Gesellschaft.
Ein Beitrag von Horst Hamm und Franza Drechsel. Text von Franza Drechsel. Online Redaktion durch Florian Leiner und Alina Kopp. Illustrationen von Katherine Rodríguez García. Inhalt basierend auf dem Uranatlas.
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Uran wird vor allem auf Gebieten indigener Völker im Globalen Süden abgebaut und bedeutet extreme Risiken für Umwelt und Gesundheit. Atomstrom ist mit hohen Kosten verbunden und wie man die radioaktiven Abfälle lagern soll ist immer noch rätselhaft. Der Uranatlas gibt einen Überblick über Daten und Fakten, die für Fragen zum Rohstoff Uran wichtig sind.
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